Kletterblatt 2016 - page 81

Abb. 2
Footlocken (Aufstieg mit Gelenken in erzwungenen Stellungen) vs.
Treppenaufstieg (ergonomische Belastung des Körpers).
kletterblatt 2016
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Gesundheit
Thema
neutrale Positionen (grün) und erzwungene / extreme Po-
sitionen (rot). Belastungen des Gelenkes solltenmöglichst
in der neutralen Position geschehen. Dauerhafte undwie-
derholte Belastungen des Gelenkes in Extrempositionen
führen zuLangzeitschädigungen, ebenso starkeVibration,
Ruck- und Stoßbelastungen.
Die Kunst der Bewegung
ist es, nur die notwendigen
Muskeln anzuspannen und alle anderen entspannt zu hal-
ten. Angst, Stress, unsicherer Stand führen dazu, dasswir
viel mehrMuskeln als nötig anspannen. Dadurchwird der
Körper hart. Wenn der Körper weich und durchlässig ist,
werdenVibrationen und Stöße abgefedert. Gut ist es auch,
die Belastung auf viele Körperteile gleichzeitig zu vertei-
len und Spitzenbelastungen in neutralen Gelenkstel-
lungen auszuführen. Schauenwir uns einige Bewegungs-
abläufe imBaum genauer an:
Aufstieg:
Der Aufstieg amstehenden Seil hat sich in den
letzten Jahren extremweiterentwickelt. Dabei gibt es eine
klare Richtung: Die neuen Techniken profitieren davon,
dass der Körper gleichseitig und ganzheitlich belastet
wird. BeimTreppenaufstieg arbeiten sowohl Schultern als
auchKnie hauptsächlich imneutralen Bewegungsradius,
während der Körper beim Footlocken von einem Extrem
ins andere pendelt, mit Belastung der Extremitäten in
erzwungenen Positionen (siehe Abb. 2).
Ein Kollege von mir klagte über Sehnenscheidenentzün-
dung und konnte deshalb nicht arbeiten: ein notorischer
Footlocker. Darauf angesprochen gab er sogar zu, dass es
wohl daran läge. Ein anderes typisches Footlocker-Syn-
dromsindKnieschmerzen, verursacht durch die doppelte
Belastung derKnie in einer künstlich verdrehtenStellung:
Erstens Seil einklemmen, zweitens Körpergewicht hoch
drücken.
Bewegung inder Baumkrone:
Ein großer Teil unserer
Arbeit besteht darin, von einemOrt inder Baumkrone zum
anderen zu gelangen. Dabei benutzen wir zwei Systeme:
Seile und Äste. Solange der Baum es erlaubt, ist es
Arbeitsaufgabe machen die Belastung aus. Was von der
Belastung als Beanspruchung des Körpers (Erschöpfung,
Abnutzung, Schmerzen) herauskommt, hängt davon ab,
wie wir mit der Belastung umgehen. Hier kommt die Er-
gonomie ins Spiel.
Ergonomie
Wissenschaft von den Leistungsmöglichkeiten und
-grenzen des arbeitenden Menschen sowie von der
optimalen wechselseitigen Anpassung zwischen dem
Menschen und seinen Arbeitsbedingungen
Duden
ImBüro ist es in der Verantwortung des Arbeitgebers, die
ergonomische Einrichtung des Arbeitsplatzes zu gewähr-
leisten. Sitzhöhe,Winkel, Abständewerden einmal einge-
richtet und dieArbeit kann losgehen. AlsKletterermüssen
wir uns den Arbeitsplatz bzw. uns demArbeitsplatz stän-
dig selber anpassen. Dabei sindwir in der Verantwortung,
für uns und unseren Körper selber zu sorgen. So ähnlich
wie Ivonne Straub die Belastung inArbeitsumstände und
Arbeitsaufgabe unterteilt, so unterteile ich die Ergonomie
in der SKT in Soft Skills und Hard Skills. Die Soft Skills
betreffen unseren Umgang mit der Situation auf der Bau-
stelle undmit unseremKörper imAllgemeinen. Die Hard
Skills betreffen den praktischen Einsatz unseres Körpers
in konkreten Situationen imBaum.
Hard Skills
SchwachstellenGelenkeundWirbelsäule:
Die Stel-
len des Körpers, an denen sich typischerweise eine Über-
beanspruchung in Formvon Langzeit-Schäden zeigt, sind
Knie, Schultern, Ellenbogen, Handgelenke und die Wir-
belsäule (insbesondere Halswirbel und unterer Rücken).
Warum ist das so? Die Gelenke (die Wirbelsäule besteht
aus einer Vielzahl von Gelenken) sind die komplexesten
und sensibelsten Stellen unseres Bewegungsapparates,
bei denen schon eine kleine Unstimmigkeit zu großem
Funktionsverlust oder Schmerz führen kann. Deshalb ist
es neben der Minimierung der allgemeinen Beanspru-
chung besonders wichtig, auf die Schonung der Gelenke
zu achten.
Jedes Gelenk hat einen bestimmten vorgesehenen Bewe-
gungsradius (siehe Abb. 1) und in diesem Radius gibt es
Abb. 1
Erzwungene und neutrale Stellung des Handgelenks
© Lilli Breininger
1...,71,72,73,74,75,76,77,78,79,80 82,83,84,85,86,87,88,89,90,91,...132
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