Kletterblatt 2016 - page 86

kletterblatt 2016
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Gesundheit
Thema
Im Leistungssport gelten zwei bis drei Tage als durch-
schnittlich geeignete Pausenzeit zwischen Extrembela-
stungen. Da wir in der Baumpflege eher ein bis zwei Tage
Pause zwischen mehreren Tagen Arbeit haben, ist klar,
dass wir uns ganz schnell auspowern, wenn wir bei der
Arbeit Vollgas geben. Beimir inder Firma ist z. B. derMitt-
woch Werkstatt- und Bürotag. So folgt spätestens nach
zwei Tagen Kletterarbeit ein Ruhetag.
Einen kühlen Kopf bewahren: Je angestrengter ich bin,
desto leichter verliere ich denÜberblick und vertüdel mich
inKleinkram. Auch das kostet Kraft.Wenn ichmir immer
die Zeit nehme, mich perfekt zu positionieren, die rich-
tigen Schnittstellen zu wählen und auf den Gesamtfluss
des Arbeitsablaufes zu achten, bin ich entspannter und
mach mir weniger Arbeit.
Planen:
Es ist oft gut, die eigenenRouten undVorgehens-
weisen im Baum vorauszuplanen. Aber immer nur inso-
weit, wie der Planmich inmeinem jetzigenHandeln lenkt.
Sobald ich einenArbeitsschritt erledigt habe odermich an
einer anderen Position im Baum befinde, sieht die Welt
schon wieder anders aus und der alte Plan darf hinfällig
sein. Es kann extrem kraftsparend sein, flexibel im Kopf
zu bleiben und alte Pläne fallen zu lassen. Bei komplexen
Abtragungen macht es oft Sinn, den Anschlagpunkt fürs
Riggingseil und den eigenenAnkerpunkt imLaufe des Ar-
beitsprozesses mehrfach umzubauen.
Kleidung:
Da wir oft bei kalten Temperaturen und ho-
her, tropfenförmiger Luftfeuchtigkeit draußen arbeiten,
ist es um so wichtiger, dass wir auf geeignete Kleidung
achten. Denn ein kalter Körper verletzt sich schneller als
einwarmer. Undwennwir frieren, verbrauchenwir mehr
Energie und haben weniger Reserven bis zur Breaking
Load. Ein paar trockene Handschuhe für nach der Pause
können da schon den kleinen, aber feinen Unterschied
machen. Auch sollte die Kleidung uns größtmögliche Be-
wegungsfreiheit erlauben und möglichst leicht sein. Und
das altbewährte Zwiebelprinzip ist unabdingbar. Meine
Kollegen scherzen schon, wenn es bei mir kurz nach dem
Aufstieg heißt: „Achtung, Stoff!“ und die nächste Schicht
fällt.
Nur nicht sauer werden:
Extreme Anstrengung lässt
den pH-Wert des Blutes sinken, wir übersäuern. Mit der
Übersäuerung sinkt die Leistungsfähigkeit und steigt die
Regenerationszeit. Die beste Art, dementgegenzuwirken,
ist die Ernährung. Kaffee, Zucker, Fleisch undWeißmehl
helfen da leider gar nicht. Auch Zigaretten und Feiera-
bendbiere versauern die Bilanz. Affen hingegen ernähren
sich vor allem von frischen Früchten, grünen Blättern,
Nüssen, Samen undPilzen.Mit Ausnahme derNüsse alles
basenbildende Lebensmittel. Ich persönlich trinke jeden
Morgen einen großen grünenSmoothie und liebeRohkost-
Salat.
DemKörper danken:
MeinKörper ist meine Ressour-
ce. Dafür bin ich ihm dankbar und belohne ihn mit geeig-
netemAusgleich zur Arbeit. Über den Arbeitstag sammle
ich viele Spannungen in den Muskeln, die nicht einfach
vom Nichts-Tun weggehen. Ich muss die Muskeln aktiv
entspannen (z.B. Massage, Sauna) und dehnen (z.B. Yoga).
Meine persönlich effektivste Art, die gesammelten Span-
nungen loszuwerden, ist zu tanzen.
Faul sein:
Als Kletterer bin ich so faul wie möglich. Ich
lasse mir vomBoden aus helfen, wo es nur geht. Ich anke-
re so hoch es geht, damit ich die kleinsten Seilwinkel habe.
BeimehrstämmigenBäumen ankere ich gerne um. Ich lege
mein Seilende in einen zweitenKanal vor, damit ich esmir
nachAbarbeiten des erstenKanals rüberziehen kann. An-
statt über eine Astgabel zu steigen, sichere ich mich zwi-
schen und lege mein System darüber. Anstatt mich lang
zu strecken, steige ich lieber einen Ast höher und habe die
Schnittstelle in bequemer Arbeitsposition vormir. Ich be-
nutze nur scharfe und geeignete Sägen. Ich halte mein
Klettermaterial in Schuss, probiere aus, was sich fürmich
am leichtesten bedienen lässt.
Statt: „Geht schon, passt schon!“ heißt es bei mir: „So geht
es am elegantesten, so passt es bequem!“
Fazit
Viele Langzeitschäden hängen nicht nur von der kon-
kreten Fehlbenutzung der betroffenen Gelenke ab, son-
dern vonÜberanstrengung und Dauerstress imallgemei-
nen. Um langfristig den schönen Beruf des kletternden
Baumpflegers ausüben zu können, ist es wichtig auf sich
und seinen Körper zu achten: Einerseits durch ergono-
mische Bewegungsabläufe, Körperhaltung und Gelenk-
stellungen im Baum, andererseits durch genügend Erho-
lungsphasen und bewusste Unterstützung der Regene-
ration.
1.) Diplomarbeit Petra Bödeker: Eine Querschnittsstudie zu Beanspruchung und Ressourcen bei
körperlich schwerer Arbeit – Am Beispiel der Anwender der Seilklettertechnik Stufe B. Hochschule
für Angewandte Wissenschaften Hamburg
2.) Ivonne Straub, SUVA: „Mensch oder Maschine – Über Belastung und Beanspruchung des
menschlichen Körpers“. Vortrag Kletterforum, Deutsche Baumpflegetage 2015 in Augsburg
European TreeWorker
Ostdeutscher Vize-Meister imBaumklettern 2015
SKT-Ausbilder bei der BaumZeit! Akademie
Inhaber der Baumliebe GmbH (
Jakob von Recklinghausen
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