Kletterblatt 2007 - page 9

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kletterblatt
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Interview
Klar, die Leidenschaft muss sein. Auch außer-
halb der Meisterschaften. Denn Klettern ist
nicht nur spektakulär sondern kann im Berufs-
alltag auch ganz schön anstrengend sein.
Würdest Du trotz Kletterleidenschaft einen Auf-
trag, bei dem geklettert werden soll, ablehnen?
Ja! Das ist auch schon vorgekommen. Es gibt
Kunden, mit denen man nicht einig wird, weil
sie den Baum unbedingt auf die Hälfte hoch-
kant oder waagrecht abgesägt haben wollen.
So wie das im Kletterblatt-Cartoon 2006 wit-
zig dargestellt wurde. Kaum zu glauben, aber
das ist oft genug Realität. Man braucht ja nur
die Augen aufzumachen, überall stehen sie
herum, diese Beispiele baumpflegerischen
Könnens.
Von der Du dich distanzierst?
Ja, weil beispielsweise eine Kappung nur in
sehr seltenen Fällen Sinn macht.
Musst Du da immer die Sinnfrage stellen?
Müssen nicht, aber ich tue es, weil ich mich
Baumpfleger nicht nur nenne. Außerdem bin
ich zwar auch Kundenpfleger, aber hauptsäch-
lich, wie gesagt, Baumpfleger; eine qualifi-
zierte Fachkraft, die auch qualifizierte Arbeit
abgeben möchte.
Wenn es um Bäume geht, stellst Du also Brecht
auf den Kopf und „die Moral kommt vor dem
Fressen“?
Nicht nur bei Bäumen – aber natürlich kann
man letztendlich keine scharfe Grenze ziehen.
Es wäre einfach und schön, wenn das möglich
wäre. Und so gibt es auch ab und zu Fälle, bei
denen ich mit der Lösung nicht glücklich bin.
Das heißt, du akzeptierst es, wenn ein Kunde
Ängste hat, auch wenn sie in Deinen Augen un-
begründet sind?
Man muss da unterscheiden. Es gibt Kunden,
die haben einen Baum gesehen, an dem ganz
offensichtlich etwas gemacht wurde. Und das
ist für sie der Maßstab. Häufig haben Kunden
irgendwie ein Gefühl, dass auch die Arbeit des
Baumpflegers nach Festmeter Schnittholz be-
wertet werden muss. Andere haben Ängste,
weil der Baum äußerliche Merkmale aufweist,
die nach schweren Schäden aussehen. Ande-
re, weil ein Baum zu nahe am Haus oder an
einer Straßenecke steht, oder jemand hat
wegen seiner Bäume Ärger mit dem Nach-
barn. Gründe gibt es viele. Und dann kann
man den Kunden überzeugen, dass in vielen
Fällen ein gut ausgeführter Schnitt – z. B. Tot-
holz raus – das eigentliche Problem auch an-
ders beheben kann. Und der Baum bleibt.
Das macht Spaß. Es ist ein schönes Gefühl,
wenn ein Kunde, der eigentlich etwas anderes
wollte, sei es weil er eine andere Maßnahme
nicht kannte, sei es weil er sie sich nicht vor-
stellen konnte, nach Abschluss der Arbeit
dauerhaft zufrieden ist.
Und wenn Deine Vorschläge nicht akzeptiert
werden – was dann?
Da kann ich, wie gesagt, auch einen Auftrag
ablehnen. Es gibt Kunden, die hören zu, und
es gibt Kunden, die können oder wollen das
nicht. Mein Anspruch ist es, erklären zu kön-
nen, dass die Angst unbegründet sein kann
oder ist, wenn ich davon überzeugt bin. Hier
unterscheide ich mich, wie viele gute Baum-
pfleger auch, von Betrieben, die alles ma-
chen und das in der Regel schlecht, weil sie
es nicht besser können.
Ich glaube aber, dass man Kunden langfristig
gewinnen kann, wenn man auch einmal geht,
ohne etwas Größeres gemacht zu haben. Ich
weigere mich nicht, einen Baum zu fällen.
Nicht jeder Baum muss stehen bleiben. Aber
man sollte sich schon gründlich überlegen,
ob er gefällt werden muss. Zu häufig werden
Pauschalurteile von Laien abgegeben, die
sich Baumpfleger nennen, leider aber auch
von willfährigen Gutachtern. Ich stelle immer
wieder fest, dass man bei Bäumen die we-
nigsten Dinge pauschalieren kann. Nur weil
ein Baum Pilzfruchtkörper hat, muss er nicht
gleich eingekürzt werden. Nicht jeder Riss ist
ein Symptom, das die Kappung oder Fällung
rechtfertigt. Es ist zu einfach, bei einem
Symptom immer gleich die Lösung parat zu
haben.
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